Traducteur provocateur: Der Perfektionist

von Helena Stamatovic

Sind Übersetzer Perfektionisten? Der Traducteur provocateur ist es mitnichten. Und dafür hat er schlagende Argumente. Lesen Sie hier seinen neuesten unerhörten Coup.

K: «Hallo Übersetzer.»

TP: «Oh, hallo Kunde! Was gibts?»

K: «Ich hab eine Beschwerde vorzubringen.»

TP: «Ist was mit der letzten Übersetzung?»

K: «Das kannst du laut sagen! Verrätst du mir bitte, weshalb du mir jedes Mal nicht nur deine Übersetzung zurückschickst, sondern immer auch ein Dutzend Fragen? Das muss aufhören!»

TP: «Na ja… Es sind berechtigte Fragen.»

K: «Berechtigt? Das ist pathologischer Perfektionismus! Es ist mir völlig egal, ob da "CHF" oder "Fr." oder "SFr." steht, ob du das Datum ausschreibst oder ob du "Kundendienst" oder "Kundensupport" wählst. Unsere Leser verstehen das so oder so.»

TP: «Aber Kunde, deine Corporate Language sollte dir wichtig sein!»

K: «Corporate was?»

TP: (seufzt) «Corporate Language. Wie Corporate Design, einfach auf die Sprachen bezogen.»

K: «Mmh, ja, kann sein, dass ich den Begriff schon mal gehört habe.»

TP: «Bestimmt. Es geht darum, dass nicht nur dein visueller Auftritt, sondern auch deine Texte einheitlich sein sollten – und zwar in allen Sprachen. Ich stelle diese Fragen doch nicht aus Spass!»

K: «Okay, vielleicht hast du recht.» (denkt nach) «Trotzdem: Für sowas habe ich einfach keine Zeit. Und überhaupt: Du bist doch der Sprachexperte, du entscheidest!»

TP: «Ich?! Oookay. Dann ändere ich das nächste Mal die Schrift deines wöchentlichen Rundschreibens. Calibri gefällt mir nämlich besser als Verdana. Das Logo werde ich auch verkleinern, ist zu gross, und dieses grelle Grün würde ich...»

K: «Schon gut, Message angekommen! Wie soll ich vorgehen?

TP: «Ein Styleguide und ein kleines Glossar wären für den Anfang nicht schlecht.»

K: (tippt) «Styleguide… Glossar… So, ist für das nächste Meeting notiert.»

TP: «Super! Du wirst sehen, dadurch wird vieles einfacher.»

K: «Wenn das deine tausend Fragen dezimiert, bin ich happy. Da wäre übrigens noch etwas.»

TP: «Ja?»

K: «Die Produktion hat gemeint, dass unsere "Dienstleistungen" neu mit "Solutions" und nicht mit "Services" zu übersetzen sind. Wollen wir uns das nicht in einer Liste notieren? Dann sind immer alle auf dem gleichen Stand und machen keine Fehler mehr.»

TP: «Echt jetzt?!»

K: «Was denn? Findest du den Vorschlag nicht gut?»

TP: (seufzt) «Kunde, du bist der Beste. Wie kommst du bloss immer auf solche Ideen? Machen wir so! Ach, und Kunde...»

K: «Ja?»

TP: «Glossar und Styleguide trotzdem nicht vergessen, gell?» (lacht und legt auf)


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